Berlin, 01.02.2018 – Der Verband der Schwesternschaften vom DRK e.V. und das DRK e.V. begrüßen die aus den Sondierungsverhandlungen hervorgehende Haltung der potenziellen Koalitionäre hinsichtlich einer guten, flächendeckenden medizinischen und pflegerischen Versorgung der Bevölkerung. Mit Blick auf die aktuellen Koalitionsgespräche möchten wir jedoch einige – aus unserer Sicht kritischen Punkte – der Sondierungsergebnisse beleuchten.
Stärkere Einbeziehung von Pflegenden in die Primärversorgung
Die Berufsgruppe der Pflegenden wurde bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Zugänglichkeit des Gesundheitssystems völlig vergessen. Dies zeugt nicht nur von einem fehlenden Bewusstsein für die professionelle Pflege als bedeutende Ressource einer wohnortnahen und niedrigschwelligen Gesundheitsversorgung, sondern weist auch darauf hin, dass nationale und internationale Empfehlungen zur Verbesserung der Erreichbarkeit des Gesundheitswesens weiterhin ignoriert werden (vgl. SVR, 2007, S. 28; Kringos et al., 2015, S. 129).
Wir fordern an dieser Stelle einen stärkeren Einbezug von Pflegenden in die Primärversorgung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf eine Neuverteilung von Aufgaben und dem Auftreten als eigenständiger Leistungserbringer. Hierzu bedarf es zwingend regulatorischer Korrekturen in Bezug auf § 63 Abs. 3c SGB V (Übertragung von ärztlichen Tätigkeiten), um entsprechende Modellprojekte flächendeckend realisieren zu können. Eine Chance, die seit vielen Jahren verpasst wurde. Neben einer Verbesserung der Zugänglichkeit des Gesundheitssystems wird dies auch zu einer nachhaltigen Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes beitragen. Hierdurch wird nicht zuletzt auch dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegengewirkt – insbesondere im Zusammenhang mit dem neuen Pflegeberufegesetz, welches die intersektorale Mobilität der Pflegefachpersonen erhöht.
Personalaufstockung in der Altenpflege ist ein Tropfen auf den heißen Stein
Ebenso begrüßen wir die Absicht, „die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege sofort und spürbar (zu) verbessern“, was insbesondere für den Bereich der Altenpflege dringend erforderlich ist. Die beabsichtige Anzahl von 8.000 neuen Fachkraftstellen kann angesichts der bestehenden 13.596 Pflegeeinrichtungen jedoch nur als Tropfen auf den heißen Stein gewertet werden, da dies nur rund 0,6 Stellen pro Einrichtung ausmachen würde. Ausgehend von 928.939 verfügbaren Pflegeplätzen in stationären Pflegeeinrichtungen würde es sich demnach um ungefähr 1 Stelle pro 116 Pflegeplätze handeln (vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, 2015).
Personalbemessungsinstrumente müssen sich am tatsächlichen Versorgungsbedarf orientieren
Wir begrüßen weiterhin die Vorhaben hinsichtlich „verbindlicher Personalbemessungsinstrumente“ in der Altenpflege und die Ausweitung der pflegesensitiven Bereiche im Krankenhaus auf „alle bettenführenden Abteilungen“. Allerdings steht und fällt der zu erwartende Nutzen dieser Instrumente mit ihrer Ausgestaltung – die zum heutigen Zeitpunkt noch offen ist. Aus unserer Sicht sollte der Ausgangspunkt der Überlegungen für ein geeignetes Personalbemessungsinstrument immer der tatsächliche Versorgungsbedarf der jeweiligen Zielgruppe sein.
Personalaufstockung kann nur durch Verbesserung der Rahmenbedingungen gelingen
Klar ist jedoch, dass die – absolut notwendige – Personalaufstockung in der Praxis nur schwer umzusetzen ist, wenn sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht verändert. Das von der Sondierungsgruppe vorgeschlagene „Sofortprogramm“ bietet hier sicherlich gut gemeinte Ansätze, wie „eine Ausbildungsoffensive, (…) eine bessere Rückkehr von Teil- in Vollzeit (…) sowie eine Weiterqualifizierung von Pflegehelfern zu Pflegefachkräften“.
Ohne eine grundlegende Verbesserung der Rahmenbedingungen in allen Bereichen der Pflege – wie Reduzierung der Arbeitsbelastung, Erhöhung der Handlungsautonomie und angemessene Vergütung – können diese Maßnahmen jedoch keine große Wirkung entfalten. So reduzieren viele Pflegende ihren Stellenanteil gerade vor dem Hintergrund der hohen physischen und psychischen Belastungen – und nehmen lieber Einbußen im Einkommen in Kauf, als noch mehr an Lebensqualität zu verlieren. Nur mit einer Veränderung der Rahmenbedingungen wird es gelingen, sowohl junge Menschen für den Pflegeberuf zu begeistern, als auch diejenigen, die den Beruf bereits ausüben, langfristig zu binden.
Quellenangaben
Gesundheitsberichterstattung des Bundes (2015). http://www.gbe-bund.de/oowa921-install/servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/&p_aid=i&p_aid=5072435&nummer=570&p_sprache=D&p_indsp=108&p_aid=17102954 (Abruf: 22.01.2018)
Kringos, D. S., Boerma, W. G., Hutchinson, A., & Saltman, R. B. (2015). Building primary care in a changing Europe. WHO Regional Office for Europe.
SVR: Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (2007). Kooperation und Verantwortung: Voraussetzungen einer zielorientierten Gesundheitsversorgung. Gutachten.